Alle(r) Bedürfnisse zählen
Schreibe einen Kommentar

Warum Fremdbetreuung schlecht für ein Kind ist

Gleich mit Freunden teilen!

Vor kurzem wurde ich von einer Mama in meinem Clan gefragt: “Gibt es eine ‘wenn möglich, nicht vor dem und dem Alter in Fremdbetreuung geben’ Empfehlung?”

Ich antwortete recht knapp und mit dem Versprechen, ausführlicher darüber zu schreiben.

Denn ja, solche Empfehlungen gibt es zu Hauf. Und die Frage erinnerte mich an diesen einen Tag.

Mein Sohn fand – wie jeden Morgen – das anziehen blöd. Wir verließen die Wohnung, wie häufig, leicht bekleidet. Mit einem Berg an Kleidungsstücken unter dem Arm, auf dem Weg zur Kita.

Da wir von der Tagesmutter leider umgeplant in die Krippenbetreuung wechseln mussten, haben wir keinen Platz am Ort bekommen und fahren mit dem Auto.

Ausgerechnet mit dem Auto zur Krippe

Autofahren gehört jetzt nicht zu den Lieblings-Beschäftigungen meines Kindes. Eine zusätzliche Unebenheit jeden Morgen.

Doch an diesem Morgen ist es noch einmal anders! Nach vielen Wochen der Eingewöhnung in der Krippe, nach Abschieden die oft eher eine Flucht ins Spiel waren… nach Personalwechsel, nach Abhol-Situationen, in denen mein Kind regelrecht in meinen Armen zusammen gefallen ist… bekommt heute die Gegenwehr meines Sohnes eine ganz klare Bedeutung.

“Ich will da nicht hin!” – seine Aussage ist kein klarer 5-Wort-Satz … eher eine Mischung aus gestresstem Schrei-Wein-Wehren festgehalten nur von den Gurten im Sitz.

Ich biege ab in eine Seitenstraße. Parke mein Auto an der nächsten Gelegenheit am Straßenrand. In Windeseile steige ich aus und Hechte zu meinem Kind an die Hintertür. Ich pflücke das Häufchen Elend aus dem Auto und nehme es in den Arm.

Mein Versprechen: Du musst nie wieder dorthin!

Doch was war passiert?

War mein Kind einfach nicht bereit sich von mir zu lösen?

Haben wir eine zu starke Bindung aufgebaut?

Konnte ich einfach nicht loslassen?

Das sind typische Vermutungen die aufkommen, wenn es mit der Eingewöhnung in Krippe oder Kindergarten nicht klappt. Zumindest die, die man schnell auf dem einen Ohr hört.

Auf dem anderen Ohr klingt es hingegen anders.

Fremdbetreuung – so schallt es – ist etwas schlechtes. Da werden die Kinder nur abgeschoben. Schon wenn sie noch klein sind!

Wehe eine Mama äußert, dass sich ihr Baby oder Kleinkind mit ihr alleine gelangweilt hat und sie den Kontakt zu anderen Kindern befürwortet. Warum bekommt sie dann Kinder!?

Frühe Bildung? Ein Kind braucht nur die Mutter!

Sind diese Aussagen wirklich haltbar?

Nun – wenn man nur diesen Ausschnitt unserer Geschichte betrachtet, dann könnte man das meinen. Ein 2jähriger, der in die Krippe gezwungen wird und irgendwann dekompensiert. Uff.

Beim ver-urteilen vergessen wir leicht, dass es viele Aspekte gibt.

#1 Die individuelle Geschichte der Familie

In unserem Fall hatte die familienergänzende Betreuung bei einer liebevollen, fürsorglichen Tagesmutter sehr gut funktioniert. Da war der Bub 18 Monate alt. Die Eingewöhnung war bedürfnisorientiert und angelehnt am Berliner Modell. Im halben Jahr zuvor war es bereits möglich gewesen, dass sich die beiden kennengelernt hatten.

Ich als Mutter hatte ein sehr gutes Gefühl. Ich vertraute ihr gern mein Kind an!

Leider geht mit der Betreuung durch eine Tagesmutter einher, dass zusätzliche Fehlzeiten möglich sind. Tagesmütter haben manchmal auch selbst kleine Kinder und der Ersatz wenn er vorhanden ist findet möglicherweise ohne Eingewöhnung statt.

In unserem Fall musste die Tagesmutter nach einem halben Jahr aufhören. Aus ganz privaten und sehr dringenden Gründen.

Warum war die Trennung jetzt also plötzlich so schwierig?

Die Haupt-Betreuungspersonen in der Krippe war kurz davor in Rente zu gehen.

Der Resturlaub führte zu zusätzlichen Fehlzeiten und zu häufig wechselnden Betreuungspersonen. Das zusätzliche Personal war teils ungelernt. Aushilfen die während der Ankommens-Phase am Morgen parallel erst einmal eingewiesen werden mussten, weil sie nicht einmal die Räume kannten. Geschweige denn die Abläufe.

Die neue Gruppenleitung war herzlich, aber auch sie musste sich in der Einrichtung erst einmal einarbeiten und zurechtfinden. Auch sie hatte für die Wiederaufnahme ihrer Berufstätigkeit ihr eigenes Kind in Betreuung geben müssen. Erneut entstanden Fehlzeiten.

Letztlich summierte sich die Situation. Zusammen mit Aspekten, auf die ich in #4 noch genauer eingehen werde, war es einfach nicht mehr tragbar.

#2 Wer eine Familie entlasten kann

Im Familien-Clan war es seit jeher so, dass verschiedene Tätigkeiten miteinander ausgeführt wurden. Die Versorgung der Kinder im unterschiedlichen Alter wurde oft familienübergreifend übernommen.

Doch das Clan Leben findet heute meist nicht mehr so statt! Wir müssen uns unserem Clan selber bauen.

Durch die längere Lebensarbeitszeit sind die Großeltern häufig selbst noch berufstätig. Auch die Großmütter!

Die junge Familie Leben häufig weit weg von der Ursprungsfamilie. Beruflich bedingt.

Es ist ein Irrsinn zu glauben, dass es weiterhin selbstverständlich sein kann, mit einem Gehalt das Leben zu bestreiten. Natürlich ist das ein Aspekt, der Entscheidungen mit beeinflusst!

Oder wie viele Familien kennst du, in denen von einem Gehalt zusätzlich der freiwillige Beitrag in die Rentenversicherung der Frau eingezahlt wird, während sie die Care-Arbeit übernimmt.

Egal, ob es

  • eine tageweise oder stundenweise Betreuung ist
  • die Zusammenarbeit mit einem Au-pair oder Babysitter
  • die Betreuung durch genetisch Verwandte
  • die Nutzung des Angebotes einer staatlichen oder privaten Krippe
  • (ergänze hier gerne gedanklich an was du denkst)

…ist, Bindungsaufbau ist mit jeder feinfühlig agierenden Personen möglich. Daran glaube ich.

Genauso glaube ich allerdings, dass manchmal “etwas” nicht passt und wir häufig nicht den Rahmen haben, wirklich herauszufinden, was es ist.

Sowohl die neue Betreuungsperson, als auch die Eltern, die das Betreuungsangebot in Anspruch nehmen, stehen häufig unter verschiedenen Druck-machenden Einflussfaktoren.

#3 Bindung und Loslassen

Ja natürlich die Eingewöhnung in ein neues Umfeld und das bewusste aufnehmen neuer Vertrauenspersonen ist ein immenser Kraftakt.

Und es kostet Zeit!

Doch sich die Zeit zu nehmen bedeutet auch, ganz entspannt diesen Entwicklungsprozess begleiten zu können.

Das zu begleiten heißt auch, immer wieder zu reflektieren, wo du gerade stehst. Manchmal fällt es uns tatsächlich schwer loszulassen. Ansprechpartner für dich als Mama ist dann nicht dein Kind, sondern die Betreuungspersonen oder ein liebevoll begleitender Berater.

Letztlich geht es ja nicht darum, dass du dein Kind in einem “luftleeren” Raum loslassen sollst, sondern Freiräume schaffen kannst, in denen sich dein Kind natürlich und sicher in bewegt. Dabei wird der Umkreis, den es um dich zieht größer, je sicherer sich dein Kind dabei fühlt. Von ganz alleine.

Dieser neu geschaffene Raum bietet dann einer anderen Person die Gelegenheit ein Angebot zu machen. Ins Gespräch zu kommen. Locker zu schauen, was miteinander Freude bereitet. Von dort aus lässt es sich Bausteinchen für Bausteinchen an einem neuen Brückchen bauen.

Hier kann neue Bindung entstehen.

Wie so ein “Raum” zum Loslassen aussehen muss, darüber sprechen wir u.a. im Programm NOW! ganz intensiv.

#4 Der individuelle Charakter

Häufig finden wir Schubladen doof.

Doch jenseits aller Schubladen gibt es sie: persönliche Besonderheiten.

Kinder die schüchtern sind. Kinder die sich leicht tun im Kontakt-schließen mit neuen Menschen. Kinder die sich lautstark und intensiv freuen und ebenso intensiv wütend und traurig sind. Kinder, die sich gern in eine Gruppe bewegen. Kinder denen all das schnell zu viel wird.

Egal wie alt dein Kind zum Zeitpunkt der Eingewöhnung ist:

Du kennst seinen Charakter am besten!

Eine liebe Freundin erzählte mir von ihrer Tochter, dass sie jeden Tag beim Abgeben in der Krippe kurz weinte.

Meine Tochter weint kurz. Egal, ob der Papa oder ich aus der Tür gehen. Sie ist während ich diese Zeilen schreibe gerade etwas über 14 Monate. Und findet es einfach doof, wenn sich die Gruppe auflöst.

Nur du wirst einschätzen können, ob das Weinen deines Kindes in diesem Rahmen und schnell tröstbar (!) für euch dazu gehört. Oder ob es der Ausdruck seiner Not ist.

Die in all den Jahren beste Anleitung, um herauszufinden, ob es einem Kind gut geht, habe ich in den Kloetersbriefen gefunden. Durch das tägliche, bewusste beobachten des Gesichtsausdruckes in einer sogenannten “Standardsituation” (eine täglich wiederkehrende Situation im Alltag) schulst du dein Auge für Veränderungen. Am Gesichtsausdruck lässt sich häufig schon recht früh ablesen, ob dein Kind Kummer hat.

Das kannst du üben – verspreche dir aber nicht zu früh aussagekräftige Einschätzungen. Bei mir selbst hat es Jahre gedauert.

Wenn die Gegenwehr deines Kindes gegen eine Betreuungsperson oder das Abgeben deutlich ist, schau gut hin. Prüfe, ob die dort entstandene Bindung tragfähig genug sein kann.

Fremdbetreuung vs. Selbstbetreuung oder einfach familienergänzend betreut?

Will jeder für sein Kind immer nur das Beste?

Nun – wir wollen es annehmen und wissen doch gleichzeitig, dass es leider nicht immer stimmt.

ABER MEISTENS!

Wenn ein Mensch. Mutter. Vater. Whoever. Nicht das Beste für die Schutzbefohlenen im Sinn hat ist die Frage nach der Betreuungsart ziemlich irrelevant. Es gibt eklatante Probleme und Hilfebedarf!

Auch wenn wir uns es gerne schönreden möchten – seit jeher war das Leben und Überleben in allen Kulturen kein Spaziergang.

Widrige Umstände, Krankheit, Hunger, Tod hat Familien heimgesucht.

Wir Menschen reagieren darauf mit unterschiedlichsten Verhaltensweisen.

So lange wir die Chance genutzt haben, eine Bindung zu unseren Kindern aufbauen und ihnen die non-verbale und später auch verbale Kommunikation (die kommt aber oft erst sehr sehr sehr viel später) feinfühlig ermöglichen, hängt es nicht davon ab, ob eine Betreuungsperson genetisch verwandt ist oder nicht.

Viel wichtig ist, dass sie feinfühlig auf die Bedürfnisse eingeht, um auch in Stresssituationen ein sicherer Hafen zu sein.

Deshalb ist eine gute Eingewöhnung so wichtig. Das Berliner Modell ist ein standartisiertes Vorgehen dazu, welches als Orientierungshilfe dient. Wird in einer Einrichtung auf eine liebevolle Eingewöhnung verzichtet – ja, das gibt es weiterhin – wird dort nicht nach aktuellem Wissensstand gearbeitet. Es kann sein, dass dein Kind sich trotzdem dort wohl fühlt und sich schnell dort einfindet – aber kalkuliere ein, dass dies nicht so ist. Auch, wenn dein Kind bereits im Kindergartenalter ist.

Auch andere Modelle zur Eingewöhnung liefern Ideen, wie ein Kind in einer neuen Umgebung mit neuen Bezugspersonen in den Kontakt kommen und in eine Bindung hineinwachsen kann.

Dann, wenn Beziehungen bestehen, ist es – am Ende – keine Fremdbetreuung mehr. Sondern eine bindungsorientierte und familienergänzende Betreuung, ohne Verwandtschaftsverhältnis.

Höre gut auf die Stimme deines Bauches, deines Herzens und deines Kindes.

Alles Liebe,
Deine Tabea

Gleich mit Freunden teilen!
Tabea Laue | Stillen, Schlafen, Mama-Sein